Ich geb dir 5 Euro, wenn du aufhörst
Was man über Kompetenz wissen mussL’Enfant Plaza Station in Washington. Viele hektische Menschen. … und dann ist da noch Joshua Bell. Schon als Kind ein Star. Ausverkaufte Konzerte. Auf den Bühnen dieser Welt zuhause. Dieser Joshua Bell nimmt seine Stradivari, seinen Bogen und beginnt zu spielen.
Einmal Wunderknabe, immer Wunderknabe? [Bildquelle © Bill Phelps | joshuabell.com]
WERDEN DIE PASSANTEN SEINE KOMPETENZ ERKENNEN?
Um genau das herauszufinden, führte die Washington Post ein Experiment durch. Joshua Bell sollte auftreten, dieses Mal inkognito in einer New Yorker U-Bahn-Station. Die Erwartungen waren hoch – werden sich binnen kurzer Zeit hunderte Menschen um den Violinisten scharen, um ihm zuzuhören? In diesem Video sieht man, was in der Praxis passiert ist:
[Videoquelle: youtube.com]
43 Minuten lang hat Joshua sein Talent zum Besten gegeben. Die Bilanz ist ernüchternd: 1097 Menschen sind an Joshua Bell vorbeigegangen. 27 von ihnen haben Geld in den Koffer geworfen. Sieben Menschen sind stehen geblieben. Ein Mann – der als Kind selbst Geige gespielt hat – war verwundert, warum jemand mit so viel Talent in einer U-Bahn-Station spielt. Nur eine einzige Person hat Joshua Bell erkannt und völlig verdutzt 20 Dollar in den Koffer gelegt.
Die fette Ausbeute: 32 Dollar, 17 Cent und eine Erkenntnis: Kompetenz erkennt nur, wer selbst kompetent ist. Bei allen anderen musst du dich schon selbst verkaufen.
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EIN EINZELFALL?
Das gleiche Experiment wurde auch in Österreich durchgeführt. In einer Kooperation von WDR und ORF wurden verschiedene berühmte, aber als Straßenkünstler getarnte, professionelle Musikerinnen in die Straßen von Wien bis Salzburg gestellt. Sie spielten vor Restaurants, in Kaufhäusern oder Parks. Unter ihnen war auch Martin Grubinger.
Wie Joshua Bell füllt auch Martin Grubinger Konzerthallen: Der gebürtige Salzburger zählt zu den besten und schnellsten Trommlern der Welt. In der österreichischen Variante des Experiments war die finanzielle Ausbeute unserer hervorragenden Musiker ebenfalls mager. Ob Salzburg, Wien oder Linz: das Ergebnis war immer erschütternd. Beim Inkognito-Trommelauftritt unseres Weltstars in Linz, neben der Donau, ist sogar Folgendes passiert:
Martin Grubinger geht zu einem anliegenden Restaurant und bittet mit einer Mütze um eine kleine Spende. Darauf sagt ein Gast zu ihm: „Ich gebe dir 5 Euro, wenn du aufhörst (zu spielen).“
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Was wir daraus lernen können:
Kompetenz spricht nicht für sich selbst. Kompetenz braucht einen Rahmen. Die wahrgenommene Kompetenz basiert auf eigenen Erfahrungen und auf Vermutungen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kompetenzvermutung. Diese wiederum basiert stark auf Symbolen und Wiedererkennungswerten.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Selbstvermarktungs-Strategie der amerikanischen Unternehmensberater in den 60er Jahren. Unternehmensberater haben einen sehr auffälligen Auftritt, der nicht bei jedem Menschen auf Zuneigung stößt. Dieser Auftritt ist viel, aber kein Zufall.
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KLEIDER MACHEN LEUTE. SPRACHE AUCH.
Jack Nasher beschreibt in seinem Buch „Überzeugt!“, wie Unternehmensberaterinnen zu ihrem Auftritt gekommen sind.
Die Unternehmensberater hatten in den 60er Jahren ein Problem: Nach dem erfolgreichen Abschluss der Volksschule kann jeder Unternehmensberater werden, denn eine spezielle fachliche Ausbildung braucht es dafür nicht. Das ist nicht die beste Voraussetzung dafür, um hohe Honorare zu verrechnen. Von Ärzten dagegen ist man hohe Rechnungen gewohnt – also wollten die Unternehmensberater zuerst einmal so sein wie Ärzte.
Mit der medizinischen Sprache verliehen die „Doctors of Management“ ihren Aussagen einen wissenschaftlichen Anstrich. Und auch heute noch erinnert ihre Sprache noch stark an die Götter in Weiß. Der langjährige Managing Director von McKinsey, Marvin Bower, empfand die Analogien von „kranken Unternehmen“ allerdings nicht hilfreich. Darum lieh er sich die Status-Symbole und die Sprache von anderen, fachlich renommierten Branchen aus. Die Berater und Beraterinnen der Zukunft sollten die Sicherheit von Ingenieurinnen ausstrahlen, alles mit Zahlen untermauern wie die Wirtschaftsprüfer und so souverän auftreten wie Rechtsanwälte.
Das alles war ein bewusster Prozess. Der sichere Auftritt von Ärzten und Juristinnen waren den Kunden bereits bekannt. Vielmehr noch: Die Menschen haben ihnen vertraut. Und genau diesen Vertrauensvorschuss machten sich wiederum die Beraterinnen zu Nutze, wenn sie in ihren schicken Anzüge und Kostümen von Analysen, Prozessen und Abläufen sprachen, um ihre Dienstleistungen zu verkaufen.
Kompetent sein bedeutet auch, das Spiel mit Schubladen zu beherrschen. [Bildquelle © bigstockphoto.com]
KOMPETENT SEIN BEDEUTET AUCH, DAS SPIEL MIT SCHUBLADEN ZU BEHERRSCHEN
Was bedeutet das konkret? Wenn wir mit jemandem schon lange zusammenarbeiten, dann weiß dieser Mensch, was wir besser und was wir weniger gut können. Anders ist das bei Menschen, die wir gerade erst kennengelernt haben und überzeugen wollen, mit uns zu arbeiten. Hier gibt es zwei einfache Regeln:
Wer kommt von hinten? [Bildquelle © bigstockphoto.com]
1. Steh zu deiner Zunft!
Wenn du professionell und kompetent wirken möchtest, zieh dich am besten so an, wie ein Kunde typischerweise einen Artgenossen deines Standes wahrnehmen würde. Je näher du an diesem Bild dran bist, desto eher greift die geschenkte Kompetenzvermutung – also der Glaube, dass du deinen Job gut machen wirst.
Erfolgreiche Firmen investieren ganz bewusst sehr viel Geld in ihren Wiedererkennungswert. Die großen Autohersteller erkennst du im Rückspiegel – auch im Dunkeln! Wenn deine Firma heute noch nicht so bekannt ist, dann überzeugst du z.B. Neukunden am besten mit dem Wiedererkennungswert und den typischen Status-Symbolen deiner Branche.
2. Eliminiere alles, was dich zu einer schlechten Wahl macht
Du darfst gern du selbst bleiben. Niemand muss sich verkleiden.
Nur die Kleidung alleine ist es nicht. Erst durch das perfekte Zusammenspiel von Auftritt, Rhetorik und Kompetenz wirst du deine Kunden überzeugen. Aber vielleicht sollten wir öfter darüber nachdenken, wie wir wirken und weniger darüber, ob unsere Kleiderwahl bequem ist.
Ich wünsche dir auf jeden Fall, dass du nie die Worte hörst: „Ich gebe dir 5 Euro, wenn du verschwindest!“. Zusammenfassend habe ich noch einen tollen und hilfreichen Tipp, den ich in meinen Verkaufstrainings und Seminaren zum professionellen ersten Eindruck gerne weitergebe. Harry Beckwith hat einmal gesagt: „Versuchen Sie nicht, eine gute Wahl zu sein. Eliminieren Sie alles, was Sie zu einer schlechten Wahl machen könnte.“
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In diesem Sinne: Erfolg ist planbar!
Dein Rhetorik-Trainer
Gerald Kern
Quellen:
- Pearls Before Breakfast: Can one of the nation’s great musicians cut through the fog of a D.C. rush hour? Let’s find out. The Washington Post, 2017
- Stars on Street. Dokumentation von Nina Dallos, Österreich/Deutschland 2017
- Jack Nasher: Überzeugt! Wie Sie Kompetenz zeigen und Menschen für sich gewinnen. Campus Verlag, 2017
Bild- und Videoquellen in diesem Artikel:
- joshuabell.com [Presskit]
- martingrubinger.com [Presskit]
- bigstockphoto.com
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