Ich will, dass ihr in Panik geratet!
Worte, die die Welt zum Zuhören bringenGreta Thunberg ist eine ungewöhnliche Galionsfigur. Das neue Feindbild der Rechtspopulisten wird gleichzeitig von vielen anderen vergöttert. Wieder andere wollen am Freitag vielleicht einfach nur mal „blau“ machen. Grund genug ihre Reden einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Ob links, rechts oder in der Mitte, wir können redetechnisch einiges von der 16-jährigen Schwedin lernen.
DAS MÄDCHEN, DAS DIE WELT ZUM SCHWEIGEN BRACHTE
Selbst wenn der Guardian titelt: „The beginning of great change“, ist sie nicht die erste junge Frau, die die Welt zum Zuhören gebracht hat. Die Kanadierin Severn Cullis-Suzuki war gerade einmal zwölf, als sie die Welt zu einer radikal anderen Klimapolitik aufrief. Im Jahr 1992 hielt sie eine 6-minütige Rede auf der Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt und aktuelle Entwicklungen. Severn Cullis-Suzuki wurde unter dem Namen „Das Mädchen, das die Welt zum Schweigen brachte“ berühmt. Ähnlich wie Greta Thunberg war auch sie eine junge Umweltaktivistin, die angsterfüllt in die Zukunft blickte.
[Videoquelle: youtube.com]
„Wenn ihr nicht wisst, wie ihr das in Ordnung bringt, dann hört auf die Umwelt kaputt zu machen!“ sagte Severen Culllis-Suzuki. Ihrer Meinung nach würde die Zukunft der Kinder verspielt:
„We have raised all the money to come here ourselves, to come 5.000 miles to tell you adults you must change your ways. Coming up here today, I have no hidden agenda. I’m fighting for my future. Losing my future is not like losing an election or a few points on the stock market. I’m here to speak for all generations to come. I’m here to speak on behalf of the starving children around the world whose cries go unheard. I’m here to speak for the countless animals dying across this planet, because they have nowhere left to go. I’m afraid to go in the sun now, because of the holes in our o-zone. I’m afraid to breath the air, because I don’t know what chemicals are in it. I used to go fishing in Vancouver, my home, with my dad, until just a few years ago, we found a fish full of cancers. And now we hear of animals and plants going to extinct every day, vanishing forever. In my life, I have dreamt of seeing the great herds of wild animals, jungles and rainforest full of birds and butterflies. But now I wonder if they will even exist for my children to see. Did you have to worry of these things, when you where my age?”
WE LOVE THE EARTH, IT IS OUR PLANET
Aber auch viele berühmte Menschen haben sich dem Thema Klimaschutz mittlerweile angenommen. Der neue Song von Rapper und Comedian Lil Dicky ist da etwas anders. Sein Thema: Wir lieben unseren Planeten – und müssen ihn schützen. Zusammen mit über 30 Welt-Stars ruft der Rapper zum Kampf gegen den Klimawandel auf – und landete einen viralen Hit.
Das Musikvideo wurde am 19. April 2019, drei Tage vor dem Tag der Erde, veröffentlicht. Es zeigt 30 Prominente – darunter unter anderem Justin Bieber, Shawn Mendes, Katy Perry, Ed Sheeran und Miley Cyrus – als auch unterschiedliche Tier- oder Pflanzenarten. Leonardo DiCaprios Charakter bildet sogar eine Szene aus dem Film Titanic (1997) nach. Alle Einnahmen werden, nach Zusammenarbeit mit der Leonardo DiCaprio Foundation, an verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen gespendet. Auf der offiziellen Website zum Song werden Fans aufgerufen, eine Petition für ein internationales Umweltschutzabkommen zu unterzeichnen.
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OUR HOUSE IS ON FIRE. I AM HERE TO SAY, OUR HOUSE IS ON FIRE
Greta Thunberg wurde durch ihre Rede beim UN-Klimagipfel in Polen weltweit bekannt. Die damals 15-jährige Schwedin rechnete darin schonungslos mit den Politikern ab. Bekannt wurde sie auch als Gründerin der „Fridays for future“, dem „Schulstreik für das Klima“. Die junge Schwedin beklagte mehrfach öffentlich, dass die Politik sich zu wenig um den Klimaschutz kümmert und sich verantwortungslos verhält – besonders gegenüber jungen Menschen.
Am 25.01.2019 hielt Greta eine kurze aber viel beachtete Rede in Davos, die so begann:
„Our house is on fire. I am here to say, our house is on fire.”
Und so endete sie:
„Adults keep saying: “We owe it to the young people to give them hope.” But I don’t want your hope. I don’t want you to be hopeful. I want you to panic. I want you to feel the fear I feel every day. And then I want you to act.I want you to act as you would in a crisis. I want you to act as if our house is on fire. Because it is.”
Das ist ja schon mal ein mutiger Anfang und ein mutiges Ende. Dieser Satz ist zusätzlich so einprägsam, dass er nicht nur mehrfach zitiert wurde, sondern auch viele Menschen bewegt hat.
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IHR WÜRDET EURE GROSSELTERN NICHT ENTSCHEIDEN LASSEN, WELCHE SACHEN IHR ANZIEHEN SOLLT
Unter ihren Unterstützern findet sich unter anderem Arnold Schwarzenegger, der Greta nach Wien eingeladen hat. Auch Barack Obama unterstützt die europäische Jugendbewegung, die nicht nur in Belgien mit markanten Sprüchen auf sich aufmerksam machte: „Ich mache meine Hausübung, wenn ihr eure macht!”. („I’ll do my homework when you do yours.”) Er ermutigte die junge Generation mit den Worten:
„Ihr würdet eure Großeltern nicht entscheiden lassen, welche Musik ihr hören oder welche Sachen ihr anziehen sollt. Warum sollten sie entscheiden, in welcher Welt ihr leben werdet?”.
Barack Obama und auch Greta Thunberg wissen, wie man eine gute Rede baut. Neben dem starken Fokus auf einem guten Anfang und einem guten Schluss starten sie, wie Steve Jobs, zuerst mit dem Problem und kommen dann erst zur Lösung:
„At places like Davos, people like to tell success stories. But their financial success has come with an unthinkable price tag. And on climate change, we have to acknowledge we have failed. All political movements in their present form have done so, and the media has failed to create broad public awareness. But Homo sapiens have not yet failed. Yes, we are failing, but there is still time to turn everything around. We can still fix this. We still have everything in our own hands.”
Greta arbeitet mit einer sehr bildhaften Sprache wie z.B.: „Wir haben es immer noch in der eigenen Hand”. Und sie benutzt, wie Obama oder Dr. King, sehr gezielt das Stilmittel der Wiederholung. Vor den VertreterInnen der europäischen Union wiederholt sie ganz bewusst 9 Mal „our house is falling apart”. Sie arbeitet aber nicht nur mit einer sehr bildhaften Sprache, sondern auch immer wieder mit plakativen Botschaften, wie z.B. „Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern. ALLES MUSS SICH ÄNDERN, und zwar heute.”
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VON DER KLIMAAKTIVISTIN ZUM FEINDBILD
Es gibt einen Zusammenhang zwischen jenen Leuten, die Thunberg attackieren und denen, die den Klimawandel leugnen. Die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak spricht von Greta als einer Angriffsfläche für RechtspopulistInnen und RechtsextremistInnen. Grund dafür ist ihrer Meinung nach, dass Greta in vielen Punkten dem traditionellen Frauenbild dieser Gruppen widerspricht.
Hinzu kommt, dass die Kritik überwiegend auf einer persönlichen Ebene, also „ad hominem“ stattfindet. Dabei wird die Position des Gegners durch Angriff auf dessen persönliche Umstände und Eigenschaften mit sogenannten Scheinargumenten angefochten. Die bewusst angewandte Kampfrhetorik ist keine Argumentation im klassischen Sinne, sondern dient lediglich dazu, den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen und wunde Punkte zu treffen. In diesem Beispiel betrifft das z.B. Gretas Erscheinungsbild oder ihre Asperger-Diagnose.
ZAHLEN, DATEN, FAKTEN?
Die Ideologie der nativistischen Nationalisten – also jenen Personen, die alles mit „naturgegeben“ erklären möchten – passt einfach nicht zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass der Klimawandel auch von Menschen verursacht wird. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf sieht die Verschwörungstheorien und persönlichen Angriffe auf Thunberg als Abwehrreaktion. Diese Menschen sind hilflos, weil sie auf einer Sachebene nicht gegen die Wissenschaft gewinnen können. Da helfen auch keine Zahlen, Daten und Fakten aus wissenschaftlichen Studien.
Zahlen, Daten und Fakten können und sollen in Reden als Stilmittel durchaus bewegen. Aber nur selten werden sie, wie bei Hans Rosling, auch emotional und spannend präsentiert. Der folgende Ausschnitt von Greta Thunberg’s Rede zeigt, wie stark sie dieses Thema offensichtlich selbst berührt:
„We are in the mid of the sixth mass-extinction. And the extinction-rate is up 10.000 times faster than what is considered normal. With up to 200 species becoming to extinct every single day. Erosion of fertile top soil, deforestation of our great forests, toxic air pollution, loss of insects and wildlife, the acidification of our oceans. These are all desaturase trends being accelerated by a way of life that we see as our right to simple carry on.”
7 RHETORISCHE STILMITTEL FÜR DEINE PERFEKTE REDE
Wir können von dieser jungen Schwedin nicht nur lernen, dass wir nie zu klein sind, um einen Unterschied zu machen, sondern auch sehr viel über Rhetorik. Bei ihrer nächsten Rede werden wir ganz sicher wieder diese sieben rhetorischen Stilmittel sehen:
1. Starker Anfang
⇾ Bewusster Einsatz vom Primacy-Recency-Effekt
2. Zuerst das Problem, dann erst die Lösungsmöglichkeiten
3. Zahlen, Daten & Fakten
⇾ Zeugenumlastung
4. Bildhafte Sprache und Wortwahl
5. Plakative Kernbotschaften
⇾ Speziell viele starke DU-Botschaften
6. Wiederholende rhetorische Stilmittel
7. Starker Schluss mit einem Loop
⇾ Bezug zum Anfang
⇾ wiederholende Elemente
⇾ Zusammenfassung
⇾ Call-To-Action
⇾ Kernbotschaft
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Und noch einiges mehr. Sehr viele dieser bewusst gesetzten Techniken finden wir auch beim Abschluss ihrer Rede vor den europäischen Abgeordneten, die sie mit den folgenden emotionalen und berührenden Worten beendete:
„What we are doing now can soon no longer be undone. In this election, you vote for the future living conditions for human kind. And though the politics needed do not exist today, some alternatives are certainly less worse than others. And I have read that some parties don’t even want me standing here today, because they so desperately do not want to talk about climate breakdown. (applause)
Our house is falling apart. The future as well as what we have achieved in the past is literally in your hands now. But it’s still not too late to act. It will take a far-reaching vision. It will take courage. It will take a fears reaction to act now. To lay the foundations where we may not know all the details about how to shape the selling. In other words, it will take cathedral thinking. (Anm.: Bezug zum früher erwähnten Notre-Dame-Brand)
I ask you to please wake up and make the changes required possible. To do your best, is no longer good enough. We must all do the seemingly impossible. And it’s okay if you refuse to listen to me, I’m after all just a 16-year schoolgirl from Sweden. But you cannot ignore the scientist or the science. Or the millions of school-striking children. School-striking for their right of the future. I beg you please do not fail on this.” (standing ovations)
Greta Thunberg
Dein Rhetorik-Trainer
Gerald Kern
Quellen:
- Severn Cullis-Suzuki (1992): Rede-Ausschnitt bei den Vereinten Nationen über das Thema Umwelt.
- utopia.de/earth-song-klimawandel-stars-musikvideo-viral-137926/
- utopia.de/earth-song-klimawandel-stars-musikvideo-viral-137926/, en.wikipedia.org/wiki/Earth_(Lil_Dicky_song)
- Greta Thunberg (am 25.01.2019); Rede in Davos
- Greta Thunberg (16. April 2019); Rede vor dem europäischen Parlament
- orf.at/stories/3120435/
- Greta Thunberg (16. April 2019); Rede vor dem europäischen Parlament
Bild- und Videoquellen in diesem Artikel: